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Der letzte Dangaster Wollfisch
Vor dem 12. Jahrhundert war vom Jadebusen als Gewässer noch nicht einmal eine Ahnung vorhanden. Friedlich grasten dort Schafe, wo heute der Jadebusen zum Baden und Spazieren einlädt. So ging es über 300 Jahre lang. Als im 15. Jahrhundert eine kleine Schafherde in das zu dieser Zeit vorhandene Gewässer (lange nicht das, was wir heute Jadebusen nennen) fiel, überlebten einige wenige Schafe das Unglück im Wasser und passten sich im Lauf von Jahrhunderten der Lebensweise der Fische an, zunächst in einem sehr flachen Gewässer, in dem sie durchaus stehend am Rande grasen konnten. Ein Hinauskommen war unmöglich, da das Ufer zu rutschig für die Paarhufer war.
Über Jahrzehnte und Jahrhunderte lebten sie dort zwischen Meer und Land. Ihre Nachkommen wurden im Wasser geboren und über Generationen gewöhnten sie sich an die neuen Lebensbedingungen. Auch ihr Kleid veränderte sich und sie bekamen unter dem Fell, das sich immer weiter ausdünnte, eine Haut, die eher bei Fischen zu finden war als bei Schafen. Schuppen bekamen sie allerdings nicht. Auch wuchs ihr Fell nicht mehr so dicht und das wenige Fell war von geringer Qualität und Menge, sodass sie nicht mehr geschoren wurden, weil die Wolle keinen ausreichenden Ertrag brachte. Das war ein Glück für diese Wesen, denn ein dickeres Fell hätte sich möglicherweise voll Wasser gesogen und die Tiere in die Tiefe gezogen.
Es gab eine Zeit, da wurden sehr viele dieser Mischwesen geboren und der Platz im
Jadebusen (auch wenn dieser sich vergrößerte) wurde knapp. So passten sich die
mittlerweile "Wollfische" genannten Wesen weiter an und nahmen an Umfang ab.
Ihre Füße trugen sie nicht mehr sicher im Wasser, sodass sie gezwungen waren, einen großen Teil der Zeit schwimmend im Wasser zu verbringen. Die Population pendelte sich auf mittlerem Niveau ein, alle Wollfische hatten Platz. Mit dieser Weiterentwicklung ging allerdings einher, dass sie nicht mehr gut am Rande des Gewässers grasen konnten und so waren sie gezwungen, auch ihre Ernährung zu ändern. Vom Gras zu Algen war ein großer Schritt für die Wollfische und es mag sein, dass ihnen diese Ernährung nicht so gut gefiel oder bekam. Sie zogen sich mehr und mehr ins Gewässer zurück und begannen, auch kleine Fische, Granat und anderes Kleingetier als Nahrung zu sich zu nehmen. Auch ihre Atmung stellte sich nach und nach um. Zunächst halfen schwach ausgebildete Kiemen bei der Atmung, aber nach und nach wurde das Lungenvolumen immer geringer und die Kiemen ausgeprägter.
Zuerst beschrieben und klassifiziert wurde diese Fischart im Jahr 1724 als Friedfisch, was sich aber letztlich als Fehleinschätzung heraus stellte, da der Dangaster Wollfisch sich nun überwiegend von Granat/Nordseekrabben ernährte. Solange es genügend Granat in der Nordsee gab, lebte der Wollfisch zwar zurück gezogen, hatte aber ausreichend Futter und eine den Umständen angepasste Nachkommenschaft. Sie hatten keinerlei Feinde, wurden nicht von Menschen oder größeren Tieren gejagt und konnten friedlich in kleinen Schwärmen ihr Dasein fristen.
Anfang des Jahres 2024 ging einem ehemaligen Krabbenfischer dieser Dangaster Wollfisch ins Netz. Der beklagenswerte Zustand des Fisches erregte das Mitleid des Fischers, sodass er ihn in einem örtlichen Swimmingpool , der ihm von einer befreundeten Familie zur Verfügung gestellt wurde, aussetzte.
Der Fisch erholte sich weitgehend, obwohl er seine bevorzugte Nahrung Granat nicht bekommen konnte. Das war sowohl der mangelnden ortsnahen Verfügbarkeit als auch dem Preis der aus Nordafrika reimportierten Krabben geschuldet. Wie sich aber durch genauere Untersuchungen eines auf Fische spezialisierten Labors heraus stellte, hatte der Fisch bereits ein hohes Alter erreicht, sodass er im Exil nach wenigen Monaten als glücklicher Einzelgänger (Dangaster Wollfische sind/waren singulär lebende Friedfische) verstarb.
Der letzte Dangaster Wollfisch wurde im Rahmen der Aktion "900 Fische für Varel" im Herbst 2024 im Kunstwerk Varel beigesetzt.